Helmut Lassnig
J. F. Braeunlich – Eine Stettiner Reederei
Elbe-Spree-Verlag Hamburg/Berlin 1999
ISBN 3-931129-21-7
Seiten 60 und 61 – Die Swinemünder Dampfschiffahrts AG:
Inzwischen hatte man genug Geld gesammelt, um einen Neubau in Auftrag geben zu können. Dieser lief als BERLIN im Jahre 1906 bei Nüschke & Co. in Stettin mit der Bau-Nr. 138 vom Stapel. Im selben Jahr in Dienst gestellt, wurde der Dampfer mit seinen 503 BRT zu einem bekannten und viel fotografierten Schiff.
Am 23. Juli 1914 hatte die BERLIN mittags die Hakenterrasse Richtung Swinemünde verlassen. An Bord waren mehrere Schulkassen und die Musikkapelle des 34. Pommerschen Füsilierregiments aus Stettin, insgesamt etwa 200 Passagiere und einiges Frachtgut. Im Papenwasser kam ihr um 13.45 Uhr der Seeschlepper OSTSEE mit dem schwedischen 2989-BRT-Frachter PORJUS an der Trosse entgegen. Der Frachter hatte Erz für die Hütte “Kraft” in Kratzwieck geladen. Plötzlich änderte die BERLIN ihren Kurs und lief mit voller Fahrt auf den Schlepper zu. BERLIN traf den Schlepper mittschiffs und schnitt ihn fast zur Hälfte durch. Die sechsköpfige Besatzung konnte sich nur mit einem Sprung über Bord retten, so schnell sank der Schlepper. Nun kam aber die PORJUS auf und rammte ihrerseits die BERLIN am Steuerbug. BERLIN begann über den Bug zu sinken. Unter den Passagieren brach Panik aus. Einige sprangen über Bord, andere kletterten an Bord des Schweden. PORJUS und BERLIN setzten sofort Boote aus, um die Passagiere der BERLIN und die Besatzungsmitglieder des Schiffes in Sicherheit zu bringen und vor allem, um die über Bord Gesprungen wieder herauszufischen. Zum Glück waren die Dampfer WERNER und SEDAN in Nähe der Unglücksstelle und konnten die Schiffbrüchigen nach Stettin bzw. Swinemünde bringen. Die Musiker der Vierunddreißiger gelangten nach Swinemünde. Als sie an Land gingen, sollen sie als Dank für ihre Rettung den Choral “Lobe den Herren, den mächtigen König der Erden” gespielt haben. Soweit die Recherchen von Walter Bölk zu diesem Seeunfall. Es war wohl noch einmal glimpflich abgegangen. Während Bölk berichtet, daß es keine Todesopfer gegeben habe, sprechen andere von drei Toten. Das Stettiner Seeamt erkannte dann später in seiner Verhandlung zu diesem Seeunfall auf Ruderversagen beim Dampfer BERLIN.
Die BERLIN wurde gehoben und repariert, kam aber nicht so schnell wieder in Fahrt, denn inzwischen war der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Die Swinemünder brauchten ihre relativ kleinen Dampfer nach dem Ersten Weltkrieg nicht abzuliefern und konnten so den Verkehr Swinemünde-Stettin bald wieder aufnehmen.
Seite 84 – Der Reedereibetrieb in den 30er Jahren – Die Kapitäne:
Kapitän Krüger befehligte die Dampfer STETTIN und BERLIN und führte die STETTIN ab 1946 dann auch auf der Unterelbe.
Seite 85 – 87 Die Reederei im Zweiten Weltkrieg:
BERLIN wurde Hafenschutzschiff H 206.
Der Reederei blieb zunächst nur die SWINEMÜNDE aus dem Bestand der Swinemünder Dampfschiffahrts AG. 1940 gab die Kriegsmarine den Dampfer BERLIN aus dem selben Reedereibestand zurück. Mit diesen beiden Schiffen betrieb die Reederei einen bescheidenen Liniendienst Stettin-Swinemünde. Täglich fuhr jeweils ein Schiff. Die Abfahrten der Schiffe wurden, wie schon im 19. Jahrhundert, in den Tageszeitungen angekündigt, wenn beide Schiffe eingesetzt werden konnten…
Mit den raschen Vorrücken der sowjetischen Truppen im Frühjahr 1945 in Pommern war es dann mit dem friedlichen und noch relativ geregelten Schiffsverkehr Stettin-Swinemünde vorbei…
Am 9. März 1945 erfolgte dann … der Ausbruch der noch fahrbereiten Stettiner Schiffe über das Haff nach Swinemünde. Mit Anbruch der Dunkelheit legte als Geleitzugführer ein vorausfahrender Sperrbrecher ab. Es folgte der Passagierdampfer BERLIN mit etwa 1000 Menschen an Bord, darunter 200 Stettiner Werftarbeiter, die in Swinemünde für die Reparatur von Schiffen benötigt wurden, die im Geleitzugverkehr nach Ostpreußen zum Flüchtlingstransport standen. Der BERLIN folgten die Eisbrecher STETTIN, PREUSSEN und POMMERN. Die Schiffe hatten größtenteils noch ihre Braeunlich-Besatzungen…
Bei Schwabach/Schwankenheim gab es noch einmal kritische Augenblicke zu überstehen. Die Fahrtrinne verläuft hier in wenigen 100 m Abstand zum Ufer. Die sowjetischen Truppen eröffneten sofort das Feuer auf die Schiffe, trafen aber zum Glück nicht. Auch von Stepenitz wurden die Schiffe aus Panzergeschützen noch einmal beschossen. Aber sie hatten auch hier Glück und kamen durch…
Die Eisbrecher sowie der Dampfer BERLIN überlebten auch den schweren Luftangriff auf Swinemünde am 12. März 1945. Sie waren rechtzeitig ausgelaufen und konnten so der Katastrophe entkommen.
Seite 88: Der Verbleib der Schiffe nach dem Zweiten Weltkrieg:
Der Dampfer BERLIN, dem ja gemeinsam mit den Eisbrechern der Ausbruch aus Stettin gelungen war, vollzog am Kriegsende eine lange Irrfahrt. Das Schiff war mit Flüchtlingen zunächst am 3. Mai in Vordingborg in Dänemark gelandet. Von dort kam es im Juli über Kopenhagen am 15. August nach Hamburg. Am 27. Februar 1946 mußte der Dampfer an die Sowjetunion ausgeliefert werden. Die neuen Eigentümer ließen den Dampfer auf der Werft in Wismar reparieren und überholen. Über den Umfang der Arbeiten kann jedoch nichts mehr ausgesagt werden. In der Sowjetunion erhielt das Schiff den Namen PSTEL, mitunter auch durch die Transkription der kyrillischen Buchstaben PESTEL geschrieben. 1960 wurde der Dampfer aus Llyods Register gestrichen.
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